Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie erfahren würden, dass Ihr Haus ohne Ihr Wissen mit einer Kamera überwacht werden sollte? Jedes Kommen und Gehen gefilmt und erfasst werden sollte? An was würde es Sie erinnern, wenn staatliche Behörden versuchen, Ihre Nachbar_innen zu überreden, Überwachungstechnik gegen Sie einzusetzen und Sie zu bespitzeln?
Der Haupteingang des Wohnprojektes Schellingstraße 6 wurde im Juli 2016 knapp einen Monat lang heimlich von der Tübinger Polizei gefilmt. Zuvor hatte die Tübinger Polizei versucht, Nachbar_innen des Projektes dafür einzuspannen, Kameras an ihren Häusern, Vorgärten oder in ihren Wohnräumen anbringen zu lassen, um ihre Nachbar_innen heimlich zu bespitzeln.
Davon erfuhren die Betroffenen nur zufällig und zunächst gerüchteweise von einem Nachbarn, der das fragwürdige Ersuchen der Polizei abgelehnt hatte. Laut Gesetz ist das nachträgliche Informieren der durch die heimliche Überwachungsmaßnahme betroffenen Personen vorgesehen (§ 101 StPO). Diese Vorschrift wird von der Polizei allerdings regelmäßig missachtet, wie rechtswissenschaftliche Studien belegen.1
Diesem skandalösen Umstand will die Meldestelle etwas entgegensetzen: Wir wollen nicht nur einen guten nachbarschaftlichen Zusammenhalt fördern, sondern auch einen Rechtsschutz gegen die oft widerrechtlichen Überwachungsmaßnahmen ermöglichen. Wenn niemand von den Maßnahmen weiß, kann der Rechtsweg nicht beschritten werden, und eine Kontrolle von Polizei und Staatsanwaltschaft findet nicht statt. Die heimlichen Überwachungsmaßnahmen sind nicht nur illegitim, sondern stellen sich im Nachhinein – sofern sie überhaupt gerichtlich überprüft werden – häufig als gesetzeswidrig heraus.
1 Backes, O., Gusy, C., & Begemann, M. (2003). Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung. Bielefelder Rechtsstudien: Vol. 17. Frankfurt am Main: Lang.